Ich habe jetzt über eine Woche auf schöne, originelle, besondere Worte und Sätze gewartet. Buchstaben, welche sonst so leicht von der Leber weg durch die Finger in die Notizen des iPhones fliessen. Aber sie kommen nicht. Jedesmal verschleiern Tränen meine Augen, sie verstopfen das Sprachzentrum und machen die Sicht auf das Display schwierig.... was mir denn so schwer fällt zu sagen? Das hier:
Das Siedalädeli schliesst ab 1.10.19 für immer seine Türen. Vorbei sind die jahreszeitlich eingerichteten, stimmungsvollen Zeiten in der weissgemusterten Siedawelt. Diese unzähligen wertvollen Begegnungen. Das Klingeln der alten Kasse, der Geruch nach Beton. Das Rascheln des Seidenpapiers. Die spannenden Gespräche, die Freude an den einzigartigen Produkten.
Warum, fragst du dich vielleicht? Und warum so plötzlich? Weil die Schwelle erreicht ist. Weil Sieda zu gross wird. Weil Umsätze und Anzahl Produkte dauernd wachsen. Hä? Willst du wissen... das ist doch toll?! Nein. Leider nicht. Nicht in meinem Fall. Denn wir können nichts automatisieren! Meine Produkte werden von A-Z von Hand gefertigt. Je mehr Produkte über den Tisch gehen, desto mehr Masse und Arbeit stecken dahinter. Und immer weniger (egal was: Zeit, Nerven, Musse und Geld) bleibt für mich. Tag und Nacht bin ich mit dem Herzen bei Sieda, arbeite jeden Tag Stunden dafür. Ich liebe es. Es ist ein Teil von mir. Ich bekomme mittlerweile weltweite Bewunderung, Ansehen, Staunen, Angebote für Messen und Märkte... aber davon kann ich mir keine freien Tage eintauschen, nicht mehr Lagerplatz organisieren, nicht meine Familie miternähren, dem Tag nicht mehr als 24 Stunden geben, nicht einen Sieda-Angestellten bezahlen, um die Jungs täglich gemütlich irgendwo im Aargau von Trainings abzuholen, keine Heinzelmänner fürs Tragen und Sortieren organisieren, nicht die Bedürfnisse der Familie für ein paar Jahre einfrieren, keine Renovationen am Haus tätigen. Damit kann ich an den Wochenenden nicht beim Sport der Jungs dabei sein. Ich konnte Sieda und die Familie immer irgendwie aneinander vorbeisteuern. Ganz knapp manchmal, aber es ging immer. Weil wir alle Sieda und das Lädeli lieben! Meine Rettung, um selber nicht ganz auf der Strecke zu bleiben, war immer Nika🐶 - dank ihm verbringe ich täglich bis zu drei Stunden in der Natur, wo ich runterfahren oder nachdenken, kopfplanen und mich körperlich auspowern kann. Als Huschiwuschi, die eh nicht ruhig sitzen kann, brauche ich keine Feierabende oder freien Wochenenden. Ausserdem wurde ich von euch, meinem Motor, dauernd in Bewegung gehalten. Aber irgendwann reichen die Tage und das Fassungsvermögen des Kopfes trotzdem nicht mehr.
Ausschlag zu diesem kurzfristigen, schmerzhaften Schritt gaben schlussendlich Probleme mit der Produktion. Die Stiftung hat es sich trotz meiner Warnung viel einfacher vorgestellt und ist nun überfordert mit den Qualitätsansprüchen und der Menge, obwohl noch nicht mal die grossen Herbst-/Winterbestellungen in Arbeit sind. Meine hundert, aufwendig selber hergestellten, wertvollen Silikonformen gehen durch die mangelnde Feinmotorik kaputt. Die Qualität der Siedalinge war durch die Stiftung anfänglich besser denn je. Schnell stellte sich aber heraus, dass dies leider nur mit dauerhafter Unterstützung der Fortgesetzten geht, was im Alltag natürlich nicht möglich ist. Schnelles Handeln wurde nötig.
Nachdem die Vernunft ihren Entscheid gefällt hatte, begann das innere Siedakind zu toben, kratzen, beissen, schreien. Es wechselte ab zwischen Trauer und unbändiger Wut - um dann weinend zusammenzubrechen. Irgendwann konnte ich mit erträglichen Schmerzen an die Situation denken. Und darüber nachdenken. Alle drei Jungs in meiner Familie lebten die Trauer betreten mit. Der ältere Sohn suchte nach Gründen um mir aufzuzeigen, dass alles auch so gut wird. Der jüngere Sohnemann umarmte mich und meinte glücklich: „Mama, chasch du jetzt am Samschtig würkli immer mini Mätsch go luege?“ Alle drei haben sich in den vergangenen acht Jahren nie beklagt, mein Mann mich auf meinem Sieda-Weg pausenlos unterstützt und nie etwas bezweifelt oder kritisiert. Wir vier haben schlussendlich auch jetzt einen Weg gefunden, wie Sieda weiterleben kann. Er lautet: back to the roots. Ich werde wieder eine Ein-Frau-Show. Ohne Mehrwertsteuern. Ohne hunderte von abgeholten Teilchen. Ohne Warenrumschieben. Ohne Versicherungen. Ohne Löhne. Ohne Mieten. Ohne Produktionskosten. Ohne den gesamten Hintergrund, welchen du vielleicht gar nicht so sehr mitgekriegt hast. Wahrscheinlich auch ohne meine Malerinnen, welche ich unendlich schätze, das beste Team ever. Ich werde euch so vermissen!
Ich baue mit Studentsuperhilfprofi Niklas, welcher mich schon mal dazu überreden versuchte, einen Online-Shop auf, wo ich zunächst während ein paar Monaten alles aus dem Laden verkaufen werde (ja, da freuen sich bestimmt einige!). Anschliessend entscheide ich für mich, was ich wann und wie oft mit viiiiiiiel Liebe giessen, bemalen und in den kleinen, aber feinen Online-Shop stellen werde. Alles natürlich immer mit der Option, siedamässig hübsch in Geschenke zu verpacken. Vielleicht helfen mir auch die Malerinnen dabei? Ich werde sehen... Der ganze Online-Auftritt bleibt sowieso. Hast du das Lädeli nie genutzt oder besucht, rückt Sieda durch den Versand gewissermassen sogar näher zu dir. Und wer weiss - vielleicht erfülle ich vielen AnfragerInnen und mir ja den Wunsch nach einem Kurslokal, wofür ich nie Platz und Zeit hatte? Und habe wieder den geliebten Kundenkontakt!
Für alle anderen - die geliebten LadenkundInnen - wird sich etwas verändern. Es tut mir unendlich leid, dass ich euch ein Stück harmonische Welt wegnehme. Ich mache es nicht, ohne gekämpft zu haben. Aber - so ticke ich überall: ich mache etwas ganz oder gar nicht.
Tausend allerliebsten Dank für alle deine Unterstützung, dein Interesse und deine Freude an den Siedalingen im Laden, an Nika und mir❤️.
Deine Simone